Home
Von Oliver Jungen, F.A.Z. (Printausgabe), 12.01.2011, Nr. 9 / Seite N5

Wenn sie dir morgen befehlen...

An deutschen Hochschulen wird auch militärische Forschung betrieben. Dagegen wendet sich eine immer größer werdende, sogenannte Zivilklausel-Bewegung.


An vielen Universitäten erstarkt derzeit eine Bewegung gegen die, wie es heißt, "zunehmende Militarisierung der Hochschulen". Tatsächlich stehen im Verteidigungshaushalt für "Forschung, Entwicklung, Erprobung" jährlich stattliche 1,1 Milliarden Euro zur Verfügung, mehr als ein Zehntel des gesamten deutschen Bildungsetats. Der Frankfurter Politologe Peer Heinelt, einer der Wortführer der neuen Bewegung, konstatiert: "Kriegsforschung ist mittlerweile ein flächendeckendes Phänomen; betroffen sind mitnichten nur natur- und ingenieurwissenschaftliche Fachbereiche, sondern ebenso die Sozialwissenschaften."

Dennoch muss man recht genau hinsehen, um wehrtechnische oder bundeswehrrelevante Forschungsprojekte an den Universitäten zu entdecken. Aber es gibt sie, steuerlich mit- oder vollfinanziert: von der Erprobung biomorpher Spezialkeramiken, die für Hubschrauberpanzerungen verwendet werden können, über neue Nachrichtentechniken ("Software Defined Radio" soll die Kommunikation in multinationalen Einsätzen verbessern helfen) bis zu medizinischen oder psychologischen Forschungsvorhaben, welche dazu dienen können, die Einsatzfähigkeit der Truppe zu steigern. Dass die meisten Projekte auch im zivilen Bereich Anwendung finden dürften, hält man bei der Tübinger "Informationsstelle Militarisierung" für irrelevant: Viele Vorhaben der "Rüstungsforschung" würden als zivile Projekte deklariert.

Die Befürworter einer sogenannten Zivilklausel wollen in die Satzungen der Hochschulen - oder in die Landeshochschulgesetze wie von 1993 bis 2002 in Niedersachsen - den Passus aufgenommen sehen, die Forschung an öffentlichen Institutionen diene allein friedlichen Zwecken. Militärforschung und Kooperationen mit Einrichtungen des Militärs oder der Rüstungsindustrie sollen grundsätzlich verboten sein. Knapp dreißig Hochschulen müssten dann auf Projekte und Gelder verzichten, doch dabei handelt es sich nur um die eindeutigen Fälle. Angesichts der schwammigen Formulierung, die nicht nur auf die Finanzierung, sondern auch auf die Intention abhebt, wären selbst militärhistorische Studien in Frage gestellt, erst recht viele Partnerschaftsprojekte mit der Industrie. Im Verteidigungsministerium gibt man sich verwundert: Im Presse- und Informationsstab will man von einer Zivilklausel noch nie etwas gehört haben.


Völkerkunde für Soldaten

Aussichtslos scheint der Vorstoß aber nicht zu sein. Zivilklauseln existieren schon an den Universitäten Dortmund, Bremen, Oldenburg sowie an der TU Berlin. Im Jahre 1991 kam auch an der Universität Konstanz ein Senatsbeschluss zustande, der besagte, "dass Forschung für Rüstungszwecke, insbesondere zur Erzeugung von Massenvernichtungswaffen, an der Universität Konstanz keinen Platz hat und auch in Zukunft keinen Platz haben wird". Vor einem Jahr hat der Senat der Universität Tübingen auf studentischen Druck die Friedlichkeits-Prämisse von Lehre, Forschung und Studium als Präambel in die Grundordnung aufgenommen. Vier Monate später folgten scharfe Auseinandersetzungen um das Seminar "Angewandte Ethnologie und Militär" der Ethnologin Monika Lanik, die als Oberregierungsrätin beim Amt für Geoinformationswesen der Bundeswehr beschäftigt ist. Es wurde als "Rekrutierungsveranstaltung" diskreditiert.

Soeben fand an der Universität zu Köln eine in Aktivistenkreisen als wegweisend empfundene Abstimmung über die Zivilklausel statt, bei der sich 65 Prozent der Studenten für deren Einführung ausgesprochen haben. Eine bindende Wirkung hat das nicht, aber es werde von den Gremien ernst genommen, so Patrick Honecker, der Sprecher der Kölner Universität. Man lasse nun die Möglichkeit einer Zivilklausel juristisch prüfen. Das aber heiße keineswegs, dem Ansinnen werde stattgegeben: "Das mehrheitliche Meinungsbild zurzeit ist, dass es sich um einen zu starken Eingriff in die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Forschungsfreiheit handelt."

Auf dieses nicht ganz neue Argument war die Gegenseite allerdings vorbereitet. Sie tut es ab mit Verweis auf ein im Jahre 2009 im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung erstelltes Gutachten des Staatsrechtlers Erhard Denninger. Er hatte festgestellt, dass der Landesgesetzgeber verfassungsrechtlich nicht daran gehindert sei, "die Friedens-Finalität der geplanten Forschung durch eine ,Zivilklausel' von der Art ,Die Körperschaft verfolgt nur friedliche Zwecke' zum Ausdruck zu bringen", schließlich sei die Vorgabe von Friedlichkeit nicht tendenziös, sondern vielmehr konstitutives Element der Verfassung. Den Anlass für dieses Gutachten bildete die Zusammenführung des Kernforschungszentrums Karlsruhe (FZK) mit der Universität Karlsruhe (TH) zum Karlsruher Institut für Technologie (KIT) am 1. Oktober 2009. Am FZK existiert seit der Gründung der Vorgängerinstitution im Jahre 1956 eine Zivilklausel, nicht aus Idealismus, sondern um eine Auflage der Alliierten zu erfüllen: Kernwaffenforschung musste ausgeschlossen sein. Noch im FZK- (Neu-) Gründungsvertrag von 1988 heißt es: "Die Gesellschaft verfolgt nur friedliche Zwecke."

Das KIT-Gesetz, das der baden-württembergische Landtag am 8. Juli 2009 beschlossen hat, sieht zwar die Übernahme dieser Klausel für einen dem FZK entsprechenden Teilbereich der neuen Universität vor, nicht aber für den ehemaligen Universitätsbereich (heute Campus Süd). Seither tobt ein Kampf um die Friedlichkeitspräambel.


Umnutzung von Heeresgerät

In einer studentischen Urabstimmung hatte sich im Januar 2009 eine Zweidrittelmehrheit für die Übertragung der Klausel auf das gesamte KIT ausgesprochen. Betriebsrat und Gewerkschaften unterstützen diese Forderung öffentlichkeitswirksam. Ein internationaler Appell für die Zivilklausel am KIT wurde nicht nur von mehreren Nobelpreisträgern unterzeichnet, sondern auch vom Bürgermeister von Hiroshima, Tadatoshi Akiba. Jüngst hat die "Initiative gegen Militärforschung an Universitäten" in einem offenen Brief die Karlsruher Universitätsleitung erneut aufgefordert, die Zivilklausel in die neue Grundsatzung aufzunehmen. Die Universität selbst hält sich indes bedeckt und teilt auf Anfrage lediglich mit, den Geltungsbereich der Zivilklausel regele das KIT-Gesetz.

Das Vorbild des KIT bis in die Namensgebung hinein ist das Massachusetts Institute of Technology (MIT), ruhmreich aufgrund wissenschaftlicher Exzellenz, aber misslich im Hinblick auf die Friedlichkeit, denn die Nähe einer Forschungseinrichtung zum Militär könnte kaum größer sein. In den achtziger Jahren war das MIT der wichtigste nichtkommerzielle Auftragnehmer des Pentagons, und noch heute wird knapp die Hälfte der für Forschung vorgesehenen 1,375 Milliarden Dollar (bei einem Gesamthaushalt von 2,4 Milliarden) vom Verteidigungsministerium finanziert, dem inzwischen jährlich über 76 Milliarden Dollar für Forschung und Entwicklung zur Verfügung stehen. Während hierzulande oft der zivile Nutzen solcher Forschungsprojekte herausgestellt wird ("dual use"), betreibt man Rüstungsforschung am MIT weniger verschämt.

In Deutschland ist der Anteil des Verteidigungsministeriums am Drittmittelaufkommen überschaubar. Während das Bundesbildungsministerium zwischen 1991 und 2009 jährlich Drittmittel zwischen vierhundert und neunhundert Millionen Euro vergab, unterstützte das Verteidigungsministerium (BMV) Projekte an öffentlichen Forschungseinrichtungen mit vier bis dreizehn Millionen pro Jahr. Allerdings befand sich unter den Empfängern auch die TU Berlin (trotz Zivilklausel). Zudem entfallen die größten Posten nicht immer auf die Bundeswehr-Universitäten in München und Hamburg, sondern verteilen sich auf zwanzig bis dreißig Hochschulen.

Einige Forschungseinrichtungen erhalten jedoch auch projektunabhängige Zuschüsse. Die Drittmittelzuwendungen und Mittel im Rahmen der Auftragsforschung des BMV (wehrtechnische, wehrmedizinische und nichttechnische Forschung) an Forschungseinrichtungen des Bundes und sonstige Forschungsinstitute und Hochschulen haben 2007 insgesamt rund 52 Millionen Euro betragen. Der bei weitem größte Teil der für Forschung reservierten 1140 Millionen Euro im 31 Milliarden schweren Verteidigungshaushalt wird laut BMV für eigene Forschungen und Erprobungen etwa im Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung ausgegeben. Über Forschungskooperationen mit der Privatwirtschaft gibt es keine Angaben.

Die Bundesregierung hat im Juli 2009 zur Zivilklausel am KIT Stellung bezogen. Deren Beibehaltung im Bereich des ehemaligen Kernforschungszentrums sei stets Voraussetzung gewesen für den Zusammenschluss, heißt es, eine Ausweitung auf das gesamte KIT liege im Ermessen des Landes. Weitreichender ist aber möglicherweise eine andere Aussage: "Nach Auffassung der Bundesregierung hat sich das Verhältnis von Wissenschaftsfreiheit und Zivilklausel seit der Gründung des FZK als einer Großforschungseinheit bewährt." Das schließt zumindest der Tendenz nach an die Einschätzung Denningers an; die jetzt von der Kölner Universität geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken fänden hier keinen Rückhalt.

Das mächtige International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility (INES) mit führenden Wissenschaftlern an der Spitze und Mitgliedsorganisationen in der ganzen Welt will in den kommenden Wochen eine Kampagne gegen Forschung und Lehre für militärische Zwecke starten. Zivilklausel-Abstimmungen stehen nun wohl in vielen Hochschulen bevor, organisiert von bestens vernetzten studentischen und lokalpolitischen Initiativen. Möglich macht diese Schlagkraft der Pazifisten nicht zuletzt das dem Militär abgerungene Internet.