Home

Reden der Kundgebung zum Antikriegstag 2013


Rede von Martin Müller (IPPNW)


Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

ich spreche hier als Vertreter der IPPNW – der Ärzteorganisation zur Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung – zum Antikriegstag am morgigen Sonntag, wie er seit den 50iger Jahren in Deutschland im Gedenken an den Überfall der Wehrmacht auf Polen am 1. September (1939) begangen wird.

Genau 200 Jahre nach der Völkerschlacht bei Leipzig, also nach 2 weiteren Jahrhunderten mit einer Abfolge von mörderischen Kriegen in Europa und in der Welt hat die Menschheit offenbar nichts hinzugelernt. Seit gut 2 Jahren tobt ein eskalierender Bürgerkrieg in Syrien: ein Land wird zerstört, Millionen Menschen sind auf der Flucht, viele haben ihr Leben oder ihre Gesundheit verloren. Dennoch lehnen wir Ärzte der IPPNW eine militärische Intervention des Westens in Syrien ab, für die es kein Völkerrechtsmandat gibt. Nach der UN-Charta darf es im Verhältnis zwischen den Staaten keine Gewalt geben, es sei denn, ein Staat wird angegriffen oder es liegt ein Beschluss des UN-Sicherheitsrates vor. Beides ist im Falle Syriens nicht gegeben. Aus Sicht der IPPNW kann es nur eine diplomatische Lösung geben, d.h. es muss Druck ausgeübt werden, damit die Bürgerkriegsparteien an den Verhandlungstisch kommen.

Die jetzt laufenden Kriegsvorbereitungen auf Seiten der USA müssen sofort gestoppt werden. Wir fordern die Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, jedwede Beteiligung Deutschlands an einem Krieg gegen Syrien öffentlich auszuschließen und keine weiteren Waffen mehr in die umliegenden Länder zu liefern. Zuletzt hatte sich der Wert aller genehmigten Waffenexporte in die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens binnen eines Jahres mehr als verdoppelt. Ausgeschlossen werden müssen auch die Lieferung von sogenannten Dual-Use-Gütern, die Entsendung von Ausbildungsoffizieren oder eine entsprechende Unterstützung der syrischen Konfliktparteien durch ihre jeweiligen Verbündeten. Die Entscheidung der Europäischen Union über eine Lockerung der Bedingungen für Rüstungslieferungen an syrische Rebellen muss sofort wieder aufgehoben werden. Jede militärische Intervention von außen würde zur weiteren Eskalation und damit zu mehr Toten und Verwundeten auch in der Zivilbevölkerung führen – das Assad-Regime hat ja bereits angekündigt, sich mit geeigneten Mitteln zu wehren! – und könnte zu einem Flächenbrand in der ganzen Region führen. Schon jetzt haben sich die Flüchtlingsströme vermehrt, ist in Israel die Nachfrage nach Atemschutzmasken gestiegen, hat der Iran mit Vergeltungsmaßnahmen gedroht..


Jegliche deutsche Solidarität kann nur den Menschen in Syrien und in den Flüchtlingslagern gelten. Die Ärztinnen und Ärzte der IPPNW weisen besonders darauf hin, dass die Bundesregierung sich dafür einsetzen muss, dass die Menschen in Syrien freien und sicheren Zugang zu medizinischer Versorgung bekommen. Angriffe auf medizinisches Personal und Einrichtungen verstoßen jedenfalls gegen das internationale Völkerrecht.

Die IPPNW verurteilt jeglichen Einsatz von Massenvernichtungswaffen. Dazu zählen neben Atom- und biologischen Waffen auch die Chemiewaffen. Bisher hat Syrien die Chemiewaffenkonvention von 1992 nicht unterzeichnet geschweige denn ratifiziert und sich damit seit Jahren der Überwachung durch die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) in Den Haag entzogen.

Angesichts der erhobenen Vorwürfe eines wiederholten Chemiewaffeneinsatzes in Syrien fordert die IPPNW von allen am Konflikt beteiligten Kräften, für die Sicherheit der UN-Inspekteure zu sorgen, damit sie ihre Arbeit vor Ort erledigen können und zu möglichst belastbaren Ergebnissen kommen. Die Ankündigung von US-amerikanischen, englischen und französischen Politikern, ohne UN-Mandat Militärschläge durchzuführen, bevor die Ergebnisse der Untersuchung bekannt sind, ignoriert in verantwortungsloser Weise den wichtigsten völkerrechtlichen Rahmen für Friedenserhaltung: die Charta der Vereinten Nationen. Jegliche Untersuchung der vorgefundenen Hinweise und deren Beurteilung muss ohne Vorverurteilung einer Seite erfolgen. Nur so kann ein Gutachten erfolgen, auf dessen Grundlage die internationale Gemeinschaft ihre weiteren Handlungen überdenken und koordinieren kann. Auf keinen Fall kann die Reaktion auf ein mutmaßliches Kriegsverbrechen eine Intensivierung des Krieges sein.


Als ersten Schritt für eine politische Lösung ist ein Waffenstillstand notwendig. Für diese Option müssen alle Möglichkeiten der Kooperation zwischen den westlichen Staaten, der Arabischen Liga, Russland und China, aber auch der regionalen Nachbarmächte wie Iran zugunsten einer friedlichen Lösung des Konflikts ohne Vorbedingungen ausgelotet werden. Dies ist Aufgabe der Vereinten Nationen.

Eine solche Kooperation würde zumindest auf dem Verständnis beruhen, dass einer Sicherung der eigenen geopolitischen und regionalen Interessen auf Kosten der Toten und auf dem Rücken der Verletzten des syrischen Bürgerkrieges keine Zukunft beschert ist. Auf dieser Grundlage könnten Verhandlungen über die zukünftige Gestaltung Syriens mit Blick auf regionale Kooperation statt Konfrontation geführt werden.

Schließlich fordert die IPPNW erneut, dass die Bundesregierung alle erdenklichen Anstrengungen unternimmt, um den Flüchtlingen des syrischen Bürgerkrieges tatkräftig zu helfen. Dazu gehört auch, dass Deutschland diejenigen, die nach Europa kommen, ohne Zahlenbegrenzung in großzügiger Weise aufnimmt.

Und – nicht zuletzt: Wir fordern den Friedensnobelpreisträger Barack Obama und die US-Regierung auf, in der Tradition der amerikanischen Ureinwohner das Kriegsbeil zu begraben und die Friedenspfeife zu rauchen! 
03.08.2012 11:23h