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Reden der Kundgebung zum Antikriegstag 2014




Rede von Hans Mörtter (Pfarrer der Luther-Kirche Köln)


Die Ansage ist klar und steht über allem Menschsein:
„Du sollst nicht töten“ – Und „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“

Das macht es mir als christlichem Pazifisten nicht leicht.
Ich stehe hier nicht als der Anti-Gauck, weil das zu einfach wäre.
Ich rede hier als der, der ich bin, mit meiner eigenen Verantwortlichkeit und Sein.

Deutlich und erschreckend ist, dass die Option Krieg wieder Oberwasser hat, statt der Option Gerechtigkeit und politischer/wirtschaftlicher/kultureller Prävention.
Und wieder gilt Paul Celan: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ mit der Stellung als weltweit drittgrößter Waffenexporteur.

Deutlich ist, dass wir weltweit ein Problem haben, den Fanatismus menschenverachtender Fundamentalisten.
Nährboden ist Armut, Chancenlosigkeit und Hass.
Und es gilt genauso heute, was deutsche und alliierte Frontsoldaten im 1. Weltkrieg begriffen hatten: Der Feind ist nicht der Soldat im gegenüberliegenden Schützengraben, sondern die Generäle, Wirtschaft und Waffenindustrie.

Vieles ist klar und doch ist die Wirklichkeit komplizierter als wir Schubladen für sie haben.

Ich erzähle euch von einem Menschen, der für mich einer meiner wichtigsten theologischen Lehrer geworden ist:
Dietrich Bonhoeffer hat schon 1934 vorausgesehen, was sich zusammenbraute und sagte:
„Der menschliche Wille muss konfrontiert werden mit dem Gebot: ‚Du sollst nicht töten‘. Gott dispensiert nicht von der Erfüllung seines Gebotes. Der Mensch wird durch Übertretung vor Gott schuldig.“
„Auf den Einwand, der Krieg schafft Frieden, gibt es nur eine Antwort: Das ist nicht wahr, sondern Krieg schafft Vernichtung – Du sollst nicht töten.“

Nach schweren inneren Kämpfen beteiligt sich D. Bonhoeffer seit 1938 am Kreisauer Kreis. 1941 schlägt er sich damit herum, ob er nach dem Attentat auf Hitler noch Pfarrer bleiben kann, weil das Blut Hitlers nach einem gelungenen Attentat auch an seinen Händen kleben würde.
Für ihn war ohne jede Entschuldigung klar, dass nach dem Attentat auf Hitler und der Kapitulation Deutschlands zuallererst von SCHULD die Rede sein muss, die zu Krieg und Mord geführt hatte.

„Das Bekenntnis der Schuld geschieht ohne Seitenblick auf die Mitschuldigen. Es ist streng exklusiv, indem es alle Schuld auf sich nimmt. Wo noch gerechnet und abgewogen wird, dort tritt die unfruchtbare Moral der Selbstgerechtigkeit an die Stelle des Schuldbekenntnisses angesichts der Gestalt Christi.“

Ohne Schielen nach rechts und links geht es ihm unausweichlich darum zu bekennen, er habe getan, was er nicht tun durfte und unterlassen, was er hätte tun sollen.

Obwohl er zu den wenigen damals glaubwürdig Handelnden gehörte und deswegen am 9. April 1945 in Flossenbürg nackt an einer Klaviersaite aufgehangen wurde.

Konkret für ihn:
„Die Kirche bekennt die willkürliche Anwendung brutaler Gewalt, das leibliche und seelische Leiden unzähliger Unschuldiger, Unterdrückung, Hass, Mord gesehen zu haben, ohne ihre Stimme für sie zu erheben, ohne Wege gefunden zu haben, ihnen zu Hilfe zu eilen. Sie ist schuldig geworden am Leben der Schwächsten und Wehrlosesten.“
Das gilt heute für uns alle.

Für Bonhoeffer war klar, dass er Schuld auf sich lädt, egal, was er auch tut.
Mit seiner Beteiligung am Attentat auf Hitler wird er als christlicher Pazifist schuldig angesichts des Gebots „Du sollst nicht töten!“
Ebenso schuldig wäre er geworden, wenn er sich nicht beteiligt hätte, am Tod von Millionen von Menschen.
Er redet sich nicht raus und stellt sich persönlich und ehrlich.

Sein nüchternes konsequentes Verantwortungsbewusstsein für die Gegenwart und Zukunft beschreibt er:
„Die außerordentliche Notwendigkeit appelliert an die Freiheit der Verantwortlichen. Es gibt kein Gesetz, hinter dem der
Verantwortliche hier Deckung suchen könnte. Es gibt daher auch kein Gesetz, das den Verantwortlichen angesichts solcher Notwendigkeiten zu dieser oder jenen Entscheidung zu zwingen vermöchte. Es gibt vielmehr angesichts dieser Situation nur den völligen Verzicht auf jedes Gesetz, verbunden mit dem Wissen darum, hier im freien Wagnis entscheiden zu müssen, verbunden mit dem offenen Eingeständnis, dass hier das Gesetz verletzt, durchbrochen wird, dass hier Not Gebot bricht, verbunden also mit der gerade in dieser Durchbrechung anerkannten Gültigkeit des Gesetzes („Du sollst nicht töten!“), und es gibt dann schließlich in dem Verzicht auf jedes Gesetz, und so ganz allein, das Ausliefern der eigenen Entscheidung und Tat an die göttliche (Lenkung der Geschichte) Gnade und Weisheit.“

An seiner Auseinandersetzung kommen wir für uns heute ebenso nicht herum. An der Frage der Schuld und wie wir damit umgehen, kommen wir alle nicht vorbei.
Im Kongo herrscht Krieg, an dem viele verdienen. Vergewaltigung, Terror, Folter, Mord, Versklavung sind an der Tagesordnung, um Coltan zu fördern, das wir für unsere Handys, Tablets usw. brauchen ...
Ein Krieg, über den wir am liebsten nicht reden, weil wir selbst durch unseren Konsum verstrickt sind.

Ab 1943 haben die Menschen in Ausschwitz, Treblinka usw. verzweifelt jeden Tag gehofft, dass die Alliierten endlich kommen, mit ihren tödlichen Waffen, um ihnen das Leben zu retten.
Die verzweifelten Jesiden wollen nicht ihre Heimat verlieren. Sie hoffen und bitten, vor dem Terror des IS gerettet zu werden.

Unser Bekenntnis zum Frieden, zum „Du sollst nicht töten!“, ist mehr als kompliziert. Egal, was wir sagen und tun, wir werden schuldig – an dieser Ehrlichkeit kommen wir nicht vorbei. – Aber das ist die einzige wahrhaftige Möglichkeit, anders nach unserer VerantwortLichkeit und unseren Möglichkeiten für den Frieden zu fragen und dafür einzutreten. Dazu gehört Mut und Freiheit, was dem Schwarz-weiß-Denken wesensfremd ist.
24.09.2014 11:23h