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Freiheit und Verantwortung der Wissenschaft

Vortragstyposkript von Torsten Bultmann (BdWi) für die Veranstaltung des AK Zivilklausel der Uni Köln am Donnerstag, 2. Mai 2013, 18:00 Uhr


Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Es hat sich herumgesprochen, dass im Dezember 2012 die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer im Namen ihres Ministeriums ein Positionspapier veröffentlichte, das den ungeheuer bedeutungsschweren Titel »Verantwortung der Wissenschaft statt gesetzlicher Zivilklauseln« trägt.1 Es dürfte sich dabei um eine Reaktion auf die anhaltenden – und nicht entschiedenen – Auseinandersetzungen innerhalb der Grünen und auf den politischen Druck aus der Hochschulöffentlichkeit handeln, verbindliche Zivilklauseln einzuführen. Gleich auf der ersten Seite heißt es: »Zivilklauseln, die auf das Verbot von Forschungsvorhaben zielen, deren Ergebnisse militärisch nutzbar sein könnten, sind rechtlich nicht zulässig. Sie schränken die im Grundgesetz garantierte Wissenschaftsfreiheit in unzulässiger Weise ein und sie gefährden die Autonomie und Leistungsfähigkeit der Wissenschaft.«

Politisch ist dies eine Rolle rückwärts, da sich die Öffentlichkeit hartnäckig daran erinnert, dass sowohl die Grünen als auch die SPD im Landtagswahlkampf, der dann zur Ablösung der schwarz-gelben Mappus-Regierung geführt hat, das Gegenteil versprochen haben: die verbindliche Einführung einer Zivilklausel nicht nur im KIT-Gesetz, sondern auch im Landeshochschulrecht.

Die Berufung auf ein Grundrecht (Grundgesetz Art. 5 Abs. 3) als Begründung für die Ablehnung der Zivilklausel ist natürlich eine große Münze und verlagert die Debatte ins Grundsätzliche. Ich will daher im Folgenden einige Überlegungen anbieten, wie sich die gesellschaftlichen Vorstellungen über die ›Freiheit der Wissenschaft‹ in der historischen Perspektive entwickelt haben, versuche mich dann an einer rechtlich-politischen Einordnung der aktuellen Kontroverse und nenne zum Schluss einige Argumente für die Zivilklausel als Ermöglichung von Freiheit und (gesellschaftlicher) Emanzipation.

Die ›Freiheit der Wissenschaft‹ (FdW) taucht erstmalig in einem deutschen Rechtstext durch Initiative des Historikers Friedrich Dahlmann im Verfassungsentwurf der Frankfurter Paulskirche (1848) auf. Die Forderung danach ist natürlich wesentlich älter. FdW gehört zum Ensemble der klassischen bürgerlichen Grundrechte in ihrer Funktion als Abwehrrechte gegen Fremdbestimmung – und damit als Voraussetzung für Selbstbestimmung und Selbstgesetzgebung. Historisch haben sich die damit verbundenen Vorstellungen schrittweise durchgesetzt im Zuge der Emanzipation der Wissenschaft von der Religion und feudal-absolutistischer Bevormundung. Ein vorläufiger Höhepunkt in diesem Prozess ist die Gründung der Berliner Universität (1810) auf Initiative Wilhelm von Humboldts. Auf diese Weise entstand überhaupt erst in ihren Anfängen eine geschützte autonome institutionelle Sphäre wissenschaftlicher Vernunft und Erkenntnis mit eigenen Regeln.

Als Schutz- bzw. Abwehrrecht ist Freiheit rein formal und ausschließlich negativ bestimmt: Freiheit von etwas. Das ist zweifelsfrei eine notwendige Stufe der Entfaltung des Freiheitsbegriffes, aber nie dessen abschließende Definition. Wenn man auf dieser Reflexionsstufe stehen bleibt, lässt sich keinerlei positive Bestimmung über die gesellschaftlichen Ziele und Zwecke von Wissenschaft gewinnen. Es ist die formale Freiheit, Vernichtungswaffen zu erfinden ebenso wie die Freiheit, einen Beitrag zur Lösung des Welthungerproblems zu leisten. Anders gesagt: Wenn ich etwas verhindern will, indem ich mich formal auf die ›Freiheit der Wissenschaft‹ berufe, aber sonst nichts weiter sage, dann habe ich im Grunde genommen auch nichts gesagt und mich der eigentlichen Diskussion entzogen.

Dieser Selbstwiderspruch des Freiheitsbegriffes allgemein – nicht allein der Wissenschaftsfreiheit – war den bedeutenden Denkern und Philosophen durchaus bekannt und wurde von ihnen reflektiert. In den zwischen 1822/23 und 1830/31 gehaltenen »Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte« von Hegel findet sich etwa die Bemerkung: »Das ist der ewige Mißverstand der Freiheit, sie nur im formellem, subjektivem Sinne zu wissen, abstrahiert von ihren wesentlichen Gegenständen und Zwecken…«.2 Die Entfaltung in »Gegenständen und Zwecken«, d.h. im Denken, Handeln, in der Praxis, ist damit der eigentliche Inhalt der Freiheit. An anderer Stelle heißt es: »Man muß, wenn von Freiheit gesprochen wird, immer wohl achtgeben, ob es nicht eigentlich Privatinteressen sind, von denen gesprochen wird.«3 »Privat« ist hier buchstäblich als Entgegensetzung zu Allgemeininteresse gedacht, dem sich die fortgeschrittenste Philosophie der Zeit verpflichtet fühlte. Die Aussage lässt sich so interpretieren, dass gerade weil der Freiheitsbegriff in der öffentlichen Meinung derartig positiv, viel versprechend und emphatisch besetzt ist, jedoch zugleich in der häufigsten sprachlichen Verwendung inhaltlich unbestimmt und vage bleibt, er sich gerade deswegen dazu eignet, bornierte Partikularinteressen damit zu tarnen. So ist es auch heute einfacher, sich formalistisch und inhaltsfrei auf ›Freiheit‹ zu berufen statt politisch einzugestehen, eine Kooperation mit der Kriegswirtschaft für sich als Wissenschaftler nicht ausschließen zu wollen.

Es gibt eine lange Geschichte der Interpretation von GG 5,3 durch das Bundesverfassungsgericht (BVG). Diese ist wesentlich komplexer und differenzierter als der Wissenschaftsfreiheitsbegriff des eingangs zitierten Bauer-Papiers. Sie schwankt zwischen den Polen, Wissenschaftsfreiheit einerseits als (negatives) Individualrecht zu definieren, aber andrerseits auch als Recht kompletter wissenschaftlicher Institutionen (›institutionelle Wissenschaftsfreiheit‹). Letzteres ist nur möglich und überhaupt denkbar in Verbindung mit Verfahren der Willensbildung und Entscheidungsfindung. Diese legt etwa das berühmte Karlsruher Mitbestimmungsurteil von 1973 fest. Es wird einerseits – zu recht – interpretiert als Einleitung der Entdemokratisierung der Hochschulreform, weil es sich richtete gegen die Drittelparität in Hochschulgesetzentwürfen einzelner Bundesländer (Bremen, Niedersachsen) und eine zwingende Professorenmehrheit in grundlegenden akademischen Fragen vorschreibt. Gleichzeitig wird aber damit positiv die Gruppenuniversität definiert, wenn auch mit ungleicher Stimmengewichtung der einzelnen Statusgruppen. Das heißt aber auch, dass Willensbildung im Sinne von Mehrheitsentscheidungen möglich ist. Ergo: Hochschulgremien können für Ihre Einrichtung Ziele definieren, nicht zuletzt im Sinne auch einer Zivilklausel. Wenn sich folglich die Selbstverpflichtung auf zivile Forschungsziele gegen die individuellen Forschungsinteressen einzelner Professoren der Hochschule richtet, ist dies rechtlich zulässig. Der Widerspruch zwischen Wissenschaftsfreiheit (FdW) und Zivilklausel, den das Bauer-Papier aufmacht, existiert folglich nicht.

Positiv gesagt: Die Definition von FdW ist immer ein Resultat der Abwägung unterschiedlicher – teilweise konkurrierender – Interessen und Rechte (wie bei den meisten Rechtsinterpretationen übrigens auch). In dem Moment, wo ich dies versuche, begebe ich mich auf das Terrain der Politik. Materialistisch kann ich Freiheit immer nur definieren als ein gesellschaftliches Verhältnis, d. h. als ein Verhältnis verschiedener Interessen zueinander. Nur so gewinnt der Begriff überhaupt erst einen gesellschaftlichen Inhalt. Daher wird es auch nie eine abschließende, objektive, politisch konsensfähige oder gar essentialistische Definition von Wissenschaftsfreiheit geben. Das Ganze ist vielmehr eine Frage politischer Kräfteverhältnisse und der Erlangung öffentlicher Definitionsmacht. So kann man selbst in der Zeitschrift des konservativen Deutschen Hochschulverbandes (DHV), der Standesorganisation der Universitätsprofessoren, folgendes lesen: »Eine Berufung auf das Forschungsfreiheitsprinzip ist deshalb nie dazu geeignet, eine öffentliche Auseinandersetzung über die Ziele und Mittel der Wissenschaft zu ersetzen. Sie sollte nie das Ende, sondern idealerweise immer Anfang einer solchen Diskussion markieren.«4

Wenn die Auseinandersetzungen um die Verallgemeinerung von Zivilklauseln erfolgreich sein sollen, empfehle ich zum Abschluss nicht allein pazifistisch-gesinnungsethisch, sondern konkret-historisch zu argumentieren. Dafür einige wenige Beispiele.

Der aktuelle Umbau der Hochschulen folgt dem wettbewerblichen Leitbild der »unternehmerischen Hochschule«. Das heißt, dass die Ziele der Wissenschaft zunehmend weniger durch kooperative Vereinbarungen, sondern indirekt und von außen bestimmt werden. Nun wissen wir aber, dass emanzipatorische, d.h. soziale, ökologische und im weitesten Sinne anti-militaristische Zielsetzungen nicht durch Wirtschafts- und Wissenschaftsmärkte selbst hervorgebracht werden können, sondern politisch implementiert werden müssen. Das öffentliche Hochschulsystem (mit einem weitgehenden Verbot von Geheimhaltung) ist dafür der am meisten geeignete Ort. So sollten Zivilklauseln nicht nur unter dem Aspekt der Verhinderung, sondern vor allem unter dem der Ermöglichung diskutiert werden: als Selbstverpflichtung der Hochschulen an humanen Lösungen globaler Krisen und Konflikten mitzuwirken. Das bezieht sich nicht nur auf explizit anti-militärische Forschungsziele, sondern bedeutet etwa auch die wissenschaftliche Herausforderung einer gerechten globalen Verteilung von Lebenschancen und Ressourcen, zumal die meisten kriegerischen Konflikte in Ressourcenauseinandersetzungen wurzeln.

Dem entgegengesetzt wird Krieg zunehmend zu einem akzeptierten Mittel der Politik im Sinne globaler Interventionsfähigkeit – nicht zuletzt für privilegierte globale Ressourcensicherung. Das geht einher mit dem Versprechen sog. »sauberer Kriege« infolge technologischer Fortschritte (Drohnen, Robotronik). In dem Sinne stehen wir offenbar am Anfang einer neuen Runde des technologischen Wettrüstens, womit auch das Interesse der dies betreibenden Kräfte an der Hochschulforschung wächst. In der Friedensforschung war es immer unbestritten, dass Wettrüsten eine eigenständige Verstärkung von Kriegsgefahr bedeutet, weil es darauf abzielt, asymmetrische Vorteile in hypothetischen Gefechtssituationen zu erlangen. Damit verbunden ist die Neigung, diese Vorteile im Sinne der Durchsetzung politischer Interessen zu nutzen, auch in Formen der Erpressung unterhalb direkter Gewaltanwendung.

Schließlich gibt es neben expliziter Wehrforschung einen wachsenden Graubereich der Überlappung ziviler und militärischer Forschungsansätze. Exemplarisch dafür ist der Streit um den Sonderforschungsbereich 700 an der FU Berlin. Es handelt sich dabei um die Aktualisierung der alten Dual-Use-Problematik Das Bauer-Papier widmet dieser ein eigenes Kapitel (S. 3-4), das in der Behauptung gipfelt, eine Zivilklausel würde ohnehin ins Leere laufen, da die Unterscheidung zwischen ›zivil‹ und ›militärisch‹ immer schwieriger würde. Schlimmerenfalls würde sie zum Verbot ziviler Forschung führen, da deren Ergebnisse auch militärisch genutzt werden könnten. Zunächst stellt sich hier die Frage, ob der (interessengeleitete) gesellschaftliche Gebrauch von Forschungsergebnissen, zu dessen jeweiliger Ausprägung es immer auch Alternativen gibt, überhaupt Gegenstand von hochschulinternen Debatten sein kann/darf? Seit der Hochschulreformbewegung der 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts wird diese Frage als Ausdruck der gesellschaftlichen Verantwortung der Wissenschaft, die nicht an der Hochschultür aufhört, wohl überwiegend bejaht – der Elfenbeinturm existiert nicht mehr. Dann wird aber umgekehrt ein Schuh draus: Gerade weil die Dual-Use-Problematik existiert, ist die Zivilklausel umso dringlicher. Sie verpflichtet zur ständigen öffentlichen Reflexion dieser Problematik und gegebenenfalls zur Warnung vor einer missbräuchlichen Nutzung von Forschungsergebnissen.

Die Zivilklausel war daher nie so wichtig wie heute – und ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit!

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2 G.W.F. Hegel, 1986: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte; in ders.: Werke Band 12, Frankfurt a. .M, S. 59.

3 A.a.O. S. 511.

4 Torsten Wilholt: Forschungsfreiheit – nichts als leere Standesrhetorik? In: Forschung & Lehre 12/12, S. 984-986 (hier: 986).
03.08.2012 11:23h