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Wie menschenzugewandt soll Wissenschaft sein?
Zivilklausel vom Senat vorerst abgelehnt.
„Denn nur der große Gegenstand vermag
Den tiefen Grund der Menschheit aufzuregen,
Im engen Kreis verengert sich der Sinn,
Es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken.
[…] Und um der Menschheit große Gegenstände
Um Herrschaft und um Freiheit wird gerungen.
Jetzt darf die Kunst auf ihrer Schattenbühne
Auch höhern Flug versuchen, ja sie muß,
Soll nicht des Lebens Bühne sie beschämen.“


Friedrich Schiller, „Wallensteins Lager“, Prolog, 1798.

Zur letzten Sitzung des Senats der Uni Köln am 3. Juli 2013 hat ein studentischer Senator in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Zivilklausel den Antrag eingebracht, die Universität möge sich als öffentliche Einrichtung zum Ziel setzen, zu einer friedlichen, zivilen und menschenwürdigen Entwicklung der Welt beizutragen. Hierfür hatten sich bei einer studentischen Abstimmung Ende 2010 über 2/3 der beteiligten Studierenden – insgesamt ca. 5000 – ausgesprochen. Über 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universität hatten sich dieser Forderung im Rahmen einer Unterschriftensammlung angeschlossen. Am Tag der Antragsberatung im Senat standen ca. 50 anwesende Zivilklausel-BefürworterInnen für eine solche Richtungswende hin zu einer gesellschaftlich verantwortlichen Wissenschaft. Beantragt wurde, dass folgender Passus als positive Zielsetzung und Entwicklungsaufgabe diskutiert und in die Grundordnung der Uni aufgenommen wird:

„Sie [die Universität] trägt als zivile Einrichtung zu einer friedlichen und zivilen Entwicklung der Gesellschaft bei, zuVölkerverständigung und zur Humanisierung der Lebensverhältnisse weltweit. Die Universität sieht sich der Aufklärung verpflichtet, sie fördert ein gesellschaftlich verantwortliches Handeln ihrer Mitglieder sowie die kritische Reflexion der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen der Zeit.“

Der Senat hat jedoch den Mut (noch) nicht aufgebracht, die Enge der unternehmerischen und wissenschaftsfernen Betriebsamkeit (Drittmittel! Prestige!) zu verlassen und die große Aufgabe der Zeit – das Wirken für eine Verbesserung der Lebensbedingungen aller – in den Blick zu nehmen. So wurde der Antrag mit einer deutlichen Mehrheit von acht Gegenstimmen, einer Enthaltung und einer Ja-Stimme abgelehnt. Die Mehrheit der SenatorInnen orientierte sich damit an der formaljuristisch vorgetragenen Argumentation des Justiziariats, das in dem Antrag eine mögliche Gefährdung der Freiheit der Wissenschaft sah. Die Argumentation mündete in einer abenteuerlichen These: Der Anspruch einer Wissenschaft, die gesellschaftlich verbessernd wirkt und der Völkerverständigung und der Humanisierung der Lebensverhältnisse zu Gute kommt, bedeute eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit. Auch eine unbescheidene und kritische Öffentlichkeit bedrohe diese Freiheit. Es wurde im Gutachten des Justiziariats zur Einführung einer Zivilklausel u. a. begründet: „Es gibt Hinweise von Historikern und Politologen, dass die Begriffe ‚Völkerverständigung‘ und ‚Humanisierung der weltweiten Lebensverhältnisse‘ einseitig politisch belegt und jedenfalls nicht politisch neutral sind. Ähnliches gilt für ein Bekenntnis zur Aufklärung.“

Wir fragen: Wessen Freiheit muss gegen die Öffentlichkeit verteidigt werden? Wofür ist das Grundgesetz eine Einschränkung, da es als positive Konsequenz aus dem deutschen Faschismus im Sinne der Menschenwürde, des Sozialstaatsgebots, der Völkerverständigung und des Friedens „einseitig politisch belegt“ ist? Wir behaupten: Frieden und eine humane Entwicklung der Gesellschaft sind Ziele sowohl des Grundgesetzes als auch einer Zivilklausel. Die Realisierung dieser Ziele sowie ihre Festschreibung sind weder eine Einschränkung noch eine Restriktion, sondern Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben aller sowie eine Bereicherung für die Arbeit und das Verhältnis zu den Mitmenschen auch an der Universität.

Mit der Ablehnung des Antrags ist der Anspruch, die Möglichkeit und daher auch die Aufgabe, dass die intellektuelle Arbeit aller auf eine Lösung der gesellschaftlichen Probleme und auf eine friedliche Entwicklung der Welt gerichtet werden kann, nicht zurückgedrängt worden. Auch im Senat hat sich durch die Auseinandersetzung eine neue Dynamik entwickelt: Mehrere SenatorInnen haben für eine Weiterführung der Diskussion gesprochen, konkret ist bei der anstehenden Erstellung des Leitbildes der Universität die Verankerung einer zivilen Orientierung der Wissenschaft jetzt schon im Gespräch.

Für einen politischen Durchbruch hat es noch nicht gereicht. Aber alle sind gefordert, neu zu reflektieren und zu entwickeln, welche positive Bedeutung für alle die eigene und gemeinsame wissenschaftliche Betätigung gerade in der aktuellen Krise haben kann und muss.

Alle können schon heute damit beginnen.
17.07.2013 12:04h